Digitale Spedition: Der große Bluff

    • Digitale Spedition: Der große Bluff

      Die verschiedenen Startups der Digitalen Spedition verfolgen wir hier seit Jahren in verschiedenen Threads:
      Instafreight: INSTAFREIGHT - Puzzle & INSOLVENZ - Forum für Spediteure - Transportunternehmer - Versender und Verlader - Forum-Speditionen | Das Original der Transportbranche
      Sennder: Sennder & Co - Forum für Spediteure - Transportunternehmer - Versender und Verlader - Forum-Speditionen | Das Original der Transportbranche
      Cargonexx: CARGONEXX? Schonmal von gehört? Erfahrungen? - Allgemeine Fragen aus der Speditionswelt - Forum-Speditionen | Das Original der Transportbranche
      "Aus gegebenem Anlass" hier ein Sammel-Thread das Thema aus der "globalen Perspektive".

      Um den Thread zusammenzuhalten, mache in im folgenden mehrere Posts mit Platzhaltern für einzelne Aspekte des "großen Bluffs" auf.
      Die Posts werden sukzessive befüllt.

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    • 1/ Der Bluff: Die Story von Digitalisierung und Nachhaltigkeit

      Um das Jahr 2015 fing es an, die Erzählung pro Digitale Spedition war simpel:
      Fast die Hälfte der LKW fahren leer durch die Gegend. Die traditionellen "analogen" Anbieter sind nicht in der Lage, Ladung und freien Laderaum optimal zusammenzuführen und den freien Platz zu nutzen. Prozesse sind noch vorsintflutlich, bestenfalls teilweise digital mit vielen Schnittstellen.,

      Also wartet der Markt auf etwas ganz Neues, disruptives (im Startup-Sprech die alten Strukturen grundlegend ändern / zerstören).
      Die Digitale Spedition mit hochentwickelter IT , die den Transportprozess für alle Beteiligten transparent und gläsern macht.
      Die künstliche Intelligenz hat den Überblick, wo die freien LKW sind und wo die nächste Ladung für sie verfügbar ist.
      Durch dem perfekten Match von freiem Laderaum und verfügbarer Ladung, der Eliminierung von Leerfahrten und bessere Auslastung der Kapazitäten werden die Transportkosten gesenkt, der Schadstoffausstoß reduziert, Umwelt und Klima gerettet!

      Das der Markt mit dem Aufkommen der Frachtenbörsen ab 2000 aufwärts mittlerweile schon recht transparent geworden war, wurde gefliessendlich ignoriert.

      Wie lange diese Erzählung noch bei unbedarften Kapitalgebern verfing, zeigt die PR von Instafreight anlässlich der 25 Mio€ Finanzierung von der EIB Anfang 2022.
      Damals waren am Markt die Digi-Spedis schon längst entzaubert als Abwickler von Massengeschäft unter massiver Nutzung der etablierten Frachtenbörsen wie Timocom und trans.eu.
      Start-ups: InstaFreight erhält Finanzspritze in Höhe von 40 Millionen US-Dollar - Start-Ups | News | LOGISTIK HEUTE - Das deutsche Logistikmagazin
      Zitat:
      EIB-Vizepräsident Ambroise Fayolle ergänzt:
      "Das Transportwesen stellt nach wie vor ein großes Hindernis für die Erreichung unserer Klimaziele dar. Außerdem hat die Pandemie gezeigt, wie anfällig unsere Handelsnetze und Lieferketten sind. Deshalb freuen wir uns, junge und schnell wachsende Unternehmen wie InstaFreight zu unterstützen. Ihre Kreativität und ihre Logistik-Know-how können dazu beitragen, unsere digitale und grüne Transformation zu beschleunigen und den europäischen Verkehr somit widerstandsfähiger zu machen."

      :thumbsup:

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    • 2/ Woher nehmen? fehlende und falsche Daten

      Der Kern der Story von der digitalen Spedition war der von einer ausgefeilten Software, die alle Infos über Angebot und Nachfrage, Fracht und Laderaum hat, den perfekten Marktüberblick.
      Wo lernende künstliche Intelligenz zielsicher aus vielen Parametern den aktuellen Tagespreis ermittelt.
      Zusätzlich Echtzeit-Monitoring für die Verlader, da die LKW Telematik an das Portal angebunden ist. Ablieferdaten und POD ebenfalls in Echtzeit.

      Dazu braucht man: DATEN!
      Richtig viele und gute Daten. Und Hintergrundwissen über die Faktoren, die Markt und Preis beeinflussen.

      Selbst die Mutter der Frachtenbörsen, die Timocom, schleppt nach über 20 Jahren auf dem Markt noch unheimlich viel Datenmüll mit.
      Was dazu führt, dass der legendäre "Timocom-Barometer" eine branchenbekannte Lachnummer ist.
      TC hat es nie geschafft, die ganzen verfälschenden Faktoren, wie Mehrfacheingaben von Fracht und LKW, fiktive "Fake"-Angebote etc. zu elimieren.
      So ist aus dem Verhältnis Fracht : Laderaum nur für Eingeweihte die tatsächliche Marktsituation ablesbar, die eine komplett andere ist wie die Zahlen suggerieren.
      Zudem ist die Marktsituation beim gleichen Verhältnis LKW zu Fracht je nach Relation komplett unterschiedlich, da die verfälschenden Faktoren in den einzelnen Märkten unterschiedlich stark sind.
      Um bessere Daten zu bekommen, versucht die TC seit Jahren die komplette Transportabwicklung auf ihr Portal zu bekommen, sowie durch Schnittstellen zu den Telematiksystemen die LKW in der TC trackbar zu machen.
      Soweit erkennbar, mit sehr überschaubarem Erfolg.

      Wirklich gute Daten dürften nur die verladerorientierten geschlossenen Vergabeportale, vor allem die Transporeon haben. Die Daten sind ihr eigentlicher Firmenwert.
      Die werden einen Teufel tun, irgendjemand anders an diese Schätze ranzulassen...

      Die neuen Digi-Spedis hatten gar nichts:
      Weder ausreichende und richtige Daten noch die menschliche Fachkompetenz, um Daten für das "lernende" System richtig zu interpretieren.
      Die Dumpingangebote waren wahrscheinlich nicht mal ausschliesslich Strategie um Marktanteile zu bekommen , sondern der blöde Algorithmus hat nach dem Motto "shit in - shit out" gerechnet.

      Schnell genügend Frachtführer an das eigene Portal anzubinden, um die Ladungen komplett auf der eigenen Plattform zu vergeben, ist nicht gelungen. Geschweige denn bis zur Anbindung auf LKW Ebene.
      So erschienen zum Erstaunen der Branche auf ein Mal die Digi-Spedis als Ladungs-Spammer mit Mehrfacheingaben der gleichen Ladung in der Timocom. Dort wurde versucht, die teils zu Dumpingkonditionen eingekauften Ladungen an die Transportunternehmer zu bringen.
      Natürlich mit manueller Eingabe bei der TC, um sie dann dort mit der Kopierfunktion zu vervielfältigen :D

      In der Endphase führte der verzweifelte Versuch, an Auftragsdaten , Preise und Frachtführer zu kommen, zu skurilen Erscheinungen.
      So tauchte im Frühjahr das Startup TruckOS hier im Forum auf , um Tester für eine banale Trucker-Auftragsabwicklungs-App zu finden:
      Tester gesucht für Transportsoftware - Software und Technik - Forum-Speditionen | Das Original der Transportbranche
      Es gab Indizien, dass TruckOS seine Wurzeln im Umfeld von Instafreight hatte.
      Nun, ein halbes Jahr später ist TruckOS Geschichte und in der Liquidation.

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    • 3/ Wenn der McKinsey Mann zum Spediteur mutiert: fehlende Qualifikation


      Die Biografien und der Auftritt der Digi-Sped Gründer ähnelten sich oft: Männlich, Anfang 30, wirtschafswissenschaftliches Studium a.k.a. "Business Adminstration" etc., oft an einer der angesagten "besseren" Unis u. Business-Schools : Mannheim, Oestrich-Winkel. Auslandsaufenthalte während des Studiums. Danach meistens Consulting bei den üblichen Verdächtigen:
      Mc Kinsey, Bain, Roland Berger, Accenture. Seltener kurze Phasen in Großkonzernen. Noch seltener mit Logistik in Berührung gekommen, wenn z.B. Stabsstelle bei TNT.

      Auftreten smart-dynamisch, selbstsicher, Klischee "Junior Consultant", gute Verkäufer ihrer selbst und ihrer Vision.
      Auch IT-Nerds dabei, aber eher in der zweiten Reihe.
      Branchenwissen und -erfahrung nicht vorhanden, wurde wohl auch negativ gesehen: Man wollte ganz "disruptiv" die Spedition neu erfinden, der Mindset der traditonellen Spediteure wurde abgelehnt: Diese "altmodischen Läden" mit ihren alten Zöpfen wollte man verdrängen.

      Das setzte sich nach unten fort: meistens Berufseinsteiger nach der Uni, vom angesagten coolen Startup LIfestyle in einer Metropolen angezogen.
      Wenn man sich das YT Video vom jährlichen Sennder Summer Camp 2023 in Italien anschaut, als die Party für die Digi-Spedis schon längst vorbei war, sieht man stark einen Typus Startup-Lifestyle-Metropolen-People, die ihre eigenen Phrasen glauben. Logistik-Profis, die in einem beinharten Markt performen, sehen anders aus:



      Man bekommt den Eindruck: die toughen Leute, die einen Krieg gewinnen können, landen ganz uncool in Vilnius, Poznan oder Katowice bei den großen Ost-EU-Carriern. Die großen Kinder, die Startup-Lifestyle suchen, bei den Digi-Spedis in Berlin-Mitte.

      Ich hatte hier im Forum am Anfang der Digi-Spedi Welle mal gespöttelt, dass es erfolgversprechender wäre, wenn sie sich statt in ihrer Berliner Startup Blase an einem rauen Logistik Hotspot wie Duisburg ansiedeln würden :whistling:

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    • 4/ Was kostet die Welt? Geld war da, und das fast ohne Ende....

      Geld und Risikokapital war die letzten 10 Jahre großzügig verfügbar und somit auch ausreichend Spielkapital für jede Vision.
      Fremdkapital kostete wenig, risikoarme Anlagen brachten wir nur minimale oder gar keine Rendite, die wirtschaftliche Lage war über alles gut und damit Wagniskapital vorhanden.

      Zudem eine große Gläubigkeit für alle Visionen und Geschäftsmodelle die mit den Etiketten "Digitalisierung" und "Nachhaltigkeit" verkauft werden konnten.

      Investionen in Softwareentwicklung, Verluste im operativen Geschäft um Marktanteile zu kaufen, Einkaufstouren à la Sennder mit Übernahme von anderen Digi-Sped Startup etc.:
      kein Problem, die nächste Finanzierungsrunde mit zweistelligen Millionensummen konnte platziert werden. Investoren der ersten Runde blieben dabei, neue Investoren kamen dazu.
      Als dann langsam die Trendwende ab Anfang 2022 kam, konnte man mit der Story immer noch öffentliche Mittel von der EIB bekommen.

      Die Party ist vorbei, die Geldgeber wollen nun ausser Geschichten und Wachstumvisionen Gewinne im operativen Geschäft sehen, sonst wird die Geldpipeline zugedreht.
      Das erste "Opfer" ist Instafreight.
      Im Fokus steht nun Sennder als letzter Überlebender (Yolda mal aussen vor) und No.1 der DigiSped Szene:
      Wird spannend, wieviel Substanz tatsächlich mittlerweile da ist, die Stunde der Wahrheit wird auch da kommen.

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    • 5/ "The Empire strikes back": Die "traditionellen" Spediteure lassen sich die Butter nicht vom Brot nehmen

      Schon ab ca. 2016/2017 begannen die traditionellen Spediteure zu reagieren.
      DHL gründete für den Landverkehr sein eigenes Digisped Startup Cillox, später Saloodo.
      Cargoline kooperierte zunächst mit Instafreight, bevor sie 2019 mit Cargoboard eine eigene Online-Spedition aufsetzte.
      Schenker hat zur Carrierseite hin Drive4Schenker, zur Kundenseite SchenkerConnect.
      Emons ist inzwischen mit zwei DigiSped-Marken präsent: Cargo International und SimpleLogistik
      usw.

      Jeder kleine Sped. kann mittlerweile für überschaubares Geld z.B. das Pamyra Tool neutral auf seiner Homepage einbinden für Tagespreise und Buchungen.
      Bei Verknüpfung mit der Sendungsverfolgung seines Netzwerks / Kooperation ist dann die Prozesskette transparent und digital.

      Während die traditionellen Spediteure nun sowohl "Digitale Spedition" für Standard-Transporte als auch manuell herkömmliche handwerkliche Spedition für Nischengeschäft beherrschten , blieb für die DigiSpeditionen mangels Fähigkeiten nur das margenarme Standardgeschäft übrig.

      Während viele traditionellen Spediteure mit dieser Aufstellung bis 2022 einige wirtschaftlich wirklich gute Jahre hatten, verbrannten die DigiSped Startups weiter Geld.

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    • LKW Alter schrieb:

      im ersten Beitrag kannst du noch Yolda ergänzen.
      Der Auftritt auf der transportlogistic in München war legendär
      Der hat hier noch keinen separaten Thread "spendiert" bekommen, zu dem ich verlinken könnte ;)
      Ist mit Gründung 2022 ein Nachzügler. Fokus angeblich auf Teilladungen (den hatte Cargonexx ja auch schon), deutsch-türkischer Background.
      Türkisches Start-up in Deutschland: Digitalspedition für Teilladungen - eurotransport
      Neben der 2022 in Köln gegründeten Yolda GmbH, die im Frühjahr '23 ihren Sitz nach Hamburg verlegte, gibt es dort jetzt zusätzlich eine Yolda Global GmbH mit den gleichen Geschäftsführern, gegründet vor ein paar Wochen im November (Quelle: Northdata).

      Was war denn so "legendär" an seinem Messeauftritt in München?
    • LKW Alter schrieb:

      Volki sprach in einer Gesprächsrunde, dass seine Dispomannschaft aus Studenten besteht und jeder davon 40-50 "LKWs" am Tag disponieren kann, weil sein geiler Algo das alles wuppt.
      :) da wären wir bei den Punkten 2 und 3 meiner Abhandlung oben, die ich noch verfassen werde.
      Unglaublich, dass diese ausgelutschten PR Stories aus 2015-2017, die sich ab 2018 als Luftnummern herausgestellt haben, 2023 immer noch erzählt werden.
      Das Schlimme ist: Die glauben ihre Storys selbst :) :)

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    • Habe mal geschaut, ob auf Linkedin Profile mit beruflichen Biografien der beiden Yolda Gründer/Geschäftsführer sind.
      Ich hoffe ja immer noch, dass ich bei den DigiSpedi Gründern mal jemand finde, der vorher schon mal eine Spedition von innen gesehen hat.....

      Der eine hat ein rein türkische Berufsbiografie als Softwareentwickler im Startup/Tech Bereich.
      Der andere, "Volki", war vor über 10 Jahren in Deutschland Geschäftsführer einer kleinen Startup Bude im Segment Mobile Payment.
      Die wurde ab 2016 mit über 1,7 Mio€ negativem Eigenkapital liquidiert. Keine Insolvenz, normale Liquidation (Quellen: Northdata/Bundesanzeiger.de)
      Ging dann in die Türkei, dort mehrere Stationen bei Startups u.a. Mobile Payment.

      Und jetzt ab 2022 als Spätzünder in Sachen "Digitale Spedition" den deutschen Markt erobern?
      Kann eigentlich nur funktionieren, wenn man der Türkei Investoren findet, die für die Story "wir rocken den deutschen Markt" ein paar Millionen rauslegen..
      Die nicht wissen, dass das Geschäftsmodell in Deutschland schon verbrannt ist und hier die Investoren das Business nur noch mit spitzen Fingern oder gar nicht mehr anfassen.
    • die sind ja auch recht schnell von Köln nach Hamburg gezogen. Warum auch immer. In Köln habs schon eine Hand voll Disponenten...


      Auf der Homepage von denen bekommt man nicht mal per sofort einen Preis, sondern versendet noch klassisch eine Mailanfrage.
      Tolle KI/AI ... :thumbsup:

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